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Erinnerungen an vergangene Reisen in die Ferne

Was macht eigentlich Gianluca? - ein Bericht von Gianluca Fiorentini

Liebe Freunde von Axel Gerstl und Liebhaber des legendären Fiat 500, ich bin Gianluca Fiorentini, stolzer Besitzer eines Fiat 500 Baujahr 1969, Reisender vom Naturell und Schriftsteller aus Zufall. Wie verbringt ihr diese Pandemie-Monate? Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich beginne, von diesem Zustand genervt zu sein.

Erinnerungen an vergangene Reisen in die Ferne


Am 30 Januar 2020 wurden in Rom die ersten beiden Italiener positiv auf das SARS-CoV-2-Virus getestet. Zu diesem Zeitpunkt kam ich gerade aus Indien zurück, sowohl körperlich als auch mental gestärkt durch meine Arbeit mit Kindern in einer Waisenstation in Kerala. Ich habe diesen Kinden versprochen, dass wir uns im nächsten Jahr wiedersehen und gemeinsam eine “Zeitkapsel” öffnen, einen Behälter, dem wir unsere Wünsche für die nächsten zwölf Monate anvertraut haben. Und im Sommer wollte ich den Motor meines Fiat 500 anwerfen und den ersten Gang einlegen Richtung Albanien. Ich konnte es kaum erwarten, das dünne schwarze Lenkrad in meinen Händen zu spüren und mit dem Zweizylinder zu unerforschten Horizonten aufzubrechen.
Dann stand die Welt plötzlich still. Jede Handlungsfreiheit war verschwunden und selbst der Wunsch zu träumen war empfindlich eingeschränkt. Seitdem ist ein Jahr vergangen. Und, wenn auch nur in der Ferne, ist endlich ein Licht zu erahnen.

Während der Ausgangsbeschränkungen befasste ich mich zum ersten Mal mit dem sogenannten “Smart Working” - auf Italienisch auch als “Agiles Arbeiten” bekannt. Ich las Bücher, hörte Musik, schlief mehr als sonst und kochte besser als sonst. Ich habe ein Buch mitverfasst, das während der Pandemie veröffentlicht wurde, und ich habe mich ans Schreiben meiner dritten Erzählung gewagt. Ich nahm mir Zeit, in Erinnerungen zu schwelgen, auch an meine Reisen mit meinem kleinen 500er. Dabei fand ich im Album meiner ersten Fahrt mit dem Zweizylinder außerhalb Italiens die schlechte Kopie eines Briefes an meine Freunde, den ich so begann:
“4.418 Kilometer!!! Alles ist bisher großartig gelaufen, Leute! Eine unglaubliche Erfahrung und ein tolles Erlebnis sind gerade ohne Probleme zu Ende gegangen!”
Zusammen mit einer Gruppe von Fiat 500-Enthusiasten hatte ich soeben Frankreich, Luxemburg und die Niederlande durchquert.

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Im Jahr 2007 legte ich 5.600 Kilometer zurück, verteilt auf Österreich, Tschechien, Deutschland, Frankreich und die Schweiz. Die Stadt Berlin war dabei das Ziel und gleichzeitig der Wendepunkt.

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Die unendlich lange Etappe von Berlin nach Bamberg, die die Nerven aller Fahrer auf eine harte Probe stellte, beschrieb ich in einer meiner Reportagen wie folgt:
“Das Fehlen jeglicher Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen erlaubte es jedem Objekt auf Rädern, mit voller Kraft auf die Überholspur zu ziehen und uns das Gefühl zu geben, noch langsamer zu sein, als uns unsere 90 km/h bereits eh erschienen.”
Lastwagen so groß wie Paläste schossen auf unsere kleinen Autos zu wie Züge in voller Fahrt. Sie näherten sich uns, als wollten sie unsere hinteren Stoßstangen streicheln, und zwangen uns mit ihren Überholmanövern zu plötzlichen Lenkkorrekturen, um auf die Luftverdrängung zu reagieren. Diese saugte den 500er erst in die Mitte der Fahrbahn und blies ihn dann heftig in Richtung der äußeren Leitplanken. Auf den Fahrspuren mit Überholverbot für schwere Kraftfahrzeuge war es unmöglich, auch nur einen minimalen Sicherheitsabstand zu halten. Diese Mastodons bremsten und beschleunigten, beschleunigten und bremsten und verfolgten uns so dicht, dass nur eine kleine Winzigkeit ausgereicht hätte, einen gefährlichen Kontakt mit ungewissem Ausgang zu provozieren. Es blieb uns nichts anderes übrig, als ihnen die Straße zu überlassen und uns mit dem Standstreifen zu begnügen. Das alles natürlich in der Hoffnung, dass sie unsere Einladung annehmen würden, uns trotz des Verbots zu überholen. Aber der bedingungslose teutonische Respekt vor der Straßenverkehrsordnung, der an anderer Stelle geschätzt werden würde und als Beispiel dienen könnte für uns undiszipliniert das Lenkrad drehende Italiener, verlängerte das Risiko und erschöpfte den Verstand. Am Ende des Tages tobten wir uns mit einem lauten Hupkonzert in Bamberg aus:
“Rauchbier per tutti, bitte!”

Im Jahr 2009 landete ich zusammen mit einer Karawane von dreißig anderen Fiat 500 aus ganz Italien in Tunesien und wir durchquerten den Norden des Landes.

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Mit jedem einzelnen unserer vier kleinen Räder gruben wir uns in die Geschichte, in die Kultur und in die Traditionen des tunesischen Maghreb ein. Vom zauberhaften Sidi Bou Said bis zu den engen Gassen der Medina von Sousse, von den archäologischen Stätten Karthagos bis zum touristischen Port el Kantaoui und vorbei an Hammamet.

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Wir durchquerten Dörfer mit weißen Häusern und ländliche Landschaften entlang der Sahelzone bis nach El Djem, wo wir die Motoren unserer Zweizylinder vor dem gewaltigen Amphitheater abstellten. Es war etwas Unvergessliches. Selbst die lokale Presse und das Fernsehen verfolgten die Tour, die auch auf die Unterstützung von Sponsoren und der tunesischen Behörden sowie das Geschick und die Hilfe der Mechaniker und Fahrer der begleitenden Servicefahrzeuge zählen konnte.

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Im folgenden Jahr kehrte ich nach Tunesien zurück, diesmal in einer Doppelrolle als Fahrer und Reporter. Mit einem Dutzend Begleiter nahm ich weitere Kilometer Asphalt im Süden des Landes in Angriff, zunehmend sandig und anspruchsvoll.

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Auf dieser Reise wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass ich nun endlich bereit war, eine “Solo-Erfahrung” mit meinem 500er zu machen.
Ich war in Metameur, einem Berberdorf nicht weit von Medenine. Eilig beendete ich meine Portion Kaninchen, die in einer Art Terrakotta-Amphore in einem in die Erde eingegrabenen Ofen gegart wurde, und sprang in den 500er, um die Umgebung zu erkunden. Meine Reisebegleiter ließ ich vorübergehend in einer zu einem Restaurant für Touristen umgebauten Ghorfa (Speicherkammer) zurück. Ich fuhr auf der Straße nach Matmata und drückte das Gaspedal, als wollte ich abheben. Das alles mit einem wunderbaren Gefühl des Wohlbefindens und der Freiheit, das mir auch heute noch, wenn ich nur daran denke, einen Lustkitzel beschert, der mir von meiner Kopfhaut über den ganzen Rücken entlang läuft, bis er nach und nach alle Körperhärchen erreicht und mich komplett erregt. Dieser flüchtige “Seitensprung” war der “Point of no return”, der Moment ohne Wiederkehr. Es war der Moment, der meine Art mit meinem Fiat 500 zu reisen, veränderte.

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Im Jahr 2011 breitete ich meine Flügel aus und startete mein erstes Solo-Abenteuer durch den gesamten Balkan bis nach Istanbul. Ich durchquerte Slowenien, Kroatien, Serbien, Bulgarien, die Türkei, Griechenland, Nordmazedonien, den Kosovo, Montenegro und Bosnien und Herzegowina.

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Auf dem Balkan wurde ich mit der außergewöhnlichen und gleichzeitig dramatischen Komplexität dieser Region konfrontiert, die sich in ständigem Aufruhr befindet. Es ist ein Ort der Begegnung verschiedener Kulturen und Religionen und ein Schauplatz angestammter Feindseligkeiten zwischen den ethnischen Gruppen, die nach dem Zusammenbruch des Tito-Regimes erbitterte Konflikte auslösten. Ich sah, wie der Okzident langsam vom Orient verdängt wurde.

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Mein geliebter Orient ...
Seine Essenz spürte ich bereits in Novi Pazar, kaum mehr als ein kleines Dorf im tiefen Süden Serbiens in einer Region namens Sandžak, wo der Westen auf den Osten trifft und man irgendwie zusammenlebt. Novi Pazar ist eine potentiell explosive Mischung aus Ethnien, Kulturen und Religionen. Bosnier, Serben, Türken, Kosovaren, Mazedonier, Sinti und Roma: Alles Zutaten eines verrückt gewordenen Gemischs wie Mayonnaise, die sich unter dem leidvollen Balkanhimmel nur schwer erholen kann. Die Luft roch nach geröstetem Kaffee und an jeder Ecke fand man Straßenverkäufer, Geldwechsler, zwielichtige Gestalten, die in den heruntergekommenen Straßen des türkischen Viertels in kleinen Läden ein- und ausgingen. Daneben verschleierte Frauen - und die ersten Minarette ragten in den Himmel. All das beflügelte meine Sinne und vermittelte mir das lebhafte Gefühl, bereits osmanische Breitengrade erreicht zu haben.
Edirne war mein persönliches Tor zum Orient, zu fernen Ländern, Geheimnissen, Magie und Träumereien. Istanbul war der Wendepunkt einer Reise mit hundert Stationen. Ein Foto zeigt mich, wie ich neben meinem Fünfhunderter posiere, mit den kaskadenförmigen Kuppeln der imposanten Sultanahmet-Moschee im Hintergrund und dem unbeschreiblichen Blick von jemandem, der von Anfang an wusste, dass er es schaffen würde.

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Das Jahr 2013 sollte dann das Jahr des Irans werden, aber eine um meine Sicherheit besorgte Diplomatenschaft versagte mir das Visum, um das alte Persien über den Landweg zu betreten. Das zerstörte meine monatelange Arbeit und machte alle in den Wochen zuvor mühsam (und gegen viel Geld) beschafften Papiere und Reisedokumente wertlos. Aber nach ein paar Tagen entschied ich mich einfach für ein anderes Ziel: Marokko.

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Aus meinem “Gran Tour du Maroc”-Tagebuch:
“Ein steiler Anstieg, aber ohne Ruckeln, das den zweiten Gang erfordert hätte, führt die Flanke des Jbel Habri hinauf auf eine Höhe von 1.965 Metern. Das funkelnde Blau des Himmels umhüllt die Zedernwälder, die auf einem smaragdgrünen Grasteppich wachsen. Die Luft ist frisch und rein. Auf dem Pass vor dem Steinkastell stelle ich den Motor ab für ein Erinnerungsfoto und einen Plausch mit dem Pförtner. Danach wird die Landschaft karg und steinig, bleibt nur durch sporadisch aufleuchtende gelbe und rote Blüten besänftigt.

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Die kahlen und kantigen Berge scheinen aus Altpapier gemacht zu sein. Ich bremse, als ich an einer Nomadenkarawane vorbeifahre, die sich langsam über eine Steppenlandschaft dem Horizont annähert, mit Eseln im Gänsemarsch, beladen mit Lasten und Wasserbehältern. Ich fahre in großer Höhe über Dutzende von Kilometern durch abgelegene Dörfer, die von einem lebendigen Alltag von Menschen, Waren, Eseln und Karren erzählen, deren Tempo ich mit geduldigem Respekt folge. […]

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Der schmale Asphaltstreifen schlängelt sich nun durch eine trostlose, vegetationslose Landschaft zwischen den erdigen Hängen der Berge, die von einem dünnen, versteinerten Schleier bedeckt zu sein scheinen. Ich fahre direkt an Midelt vorbei, einer Oase mit würfelförmigen Hütten auf einem Plateau zwischen dem Mittleren und Hohen Atlas. [...]

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Ich fahre hundert Kilometer öde Heide ab, die nur von einer spärlichen Gruppe grasender Dromedare bevölkert ist; ich halte in Guelmin an, um den Tank zu füllen, und schlüpfe zurück zwischen die beiden weißen Linien, die die Fahrbahn markieren und im Unendlichen zur Stadt Tan Tan zusammenlaufen, damit eine perfekte Gerade zeichnen. Unachtsamkeit droht das Leben einer kleinen Schlange zu kosten, die die Straße überquert und ein sich wiederholendes “S” nachzeichnet. Ein paar Kilometer später bin ich selbst abgelenkt durch den Kadaver eines Dromedars, der erstarrt auf der staubigen roten Erde liegt. Ich nehme eine Holzplanke unter den Rädern voll mit und komme gefährlich ins Schleudern. Dieser kleine Schreck macht mich schwermütig und bald erfasst eine gewisse Anspannung meine Nerven. Die triste und staubige Umgebung, durchzogen von alten und traurigen Laternenmasten, die sich biegen, so weit das Auge reicht, wird von heftigen Windböen gepeitscht. Zu meiner Rechten liegt das einzige Artefakt, das mir in einer Stunde Fahrt begegnet: das rostige Wrack einer mit Sand bedeckten Tankstelle.

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Unsichtbare Wolken tragen den üblen Geruch von verrottenden Tieren. Auf eine seltsame Formation von Militärlastwagen folgt eine Kolonne von Krankenwagen, die von Geländewagen in Tarnfarben eskortiert werden. Ich lasse den Motor auf einem Rastplatz ausruhen, wo Diesel unbekannter Herkunft für sechs Dirham pro Liter verkauft wird. Dann stelle ich mich dem letzten Stück Straße. Je weiter ich komme, desto mächtiger wird das Gefühl, auf einen Außenposten zuzusteuern.”

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Zwei Jahre später lief das Projekt “Baltic Experience” nicht optimal an. Das Scheppern des 500ers nur dreihundert Kilometer vor dem Startpunkt einer dreißigmal so langen Reise war kein ermutigendes Zeichen. Aber es genügte, Öl in das Getriebe zu pumpen, um das Problem zu lösen. Damit wäre die Schuld gegenüber dem Schicksal bezahlt für den Weg durch Slowenien, Ungarn, die Slowakei, Polen, Litauen, Lettland und Estland, dachte ich mir.
Ich verließ Italien von Triest aus, vollendete die vier Jahre zuvor in Ljubljana unterbrochene Durchquerung Sloweniens, machte in Maribor Halt und fuhr am Südufer des Plattensees entlang in die unaussprechliche Stadt Székesfehérvár. Ich habe mich fast lächerlich gemacht, als ich versuchte, den 500er drei Tage vor Vettels fünftem Sieg im Ferrari auf die Rennstrecke des Hungarorings zu schmuggeln. In Košice spülte ich die Müdigkeit von neun Stunden Fahrt und knapp 400 auf den Straßen zurückgelegten Kilometern mit einem Schwall Urpiner Bier weg.
Ich fuhr weiter nach Norden entlang der weißrussischen Grenze und kam zuerst nach Lublin und dann nach Białystok, der polnischen Stadt, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs preußisch, weißrussisch und litauisch war. Ich ließ Polen hinter mir, fuhr schließlich in Litauen vorbei an einem großen Metallschild mit der Aufschrift “Lietuvos Respublika” und jagte den 500er durch Lettland und Estland nach Narva, einer seltsamen Grenzstadt an der russischen Grenze gegenüber der russischen Stadt Ivangorod.

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Auch 2016 sollte wieder das Jahr des Irans werden, aber ...
Nach der Aufhebung der 2006 von den USA, der UN und der Europäischen Union verhängten Sanktionen erlebte der Iran eine bedeutende Zeit seiner Geschichte. Mein Fiat 500 und ich wollten Zeugen dieses Moments sein, in die tagesaktuellen Geschehnisse eintauchen und gleichzeitig die tausendjährige iranische Kultur in all ihren Formen genießen. Für mich ist der Iran vor allem ein Synonym für Kunst, Zivilisation und Jahrtausende alte Kultur. Obwohl ihm im Westen oft ein unattraktives Image verliehen wird, gilt der Iran als freundliches und gastliches Land.
Dass die Reise schwierig werden würde, spürte ich schon in Eskişehir, im Westen der Türkei. Ich aß gerade zu Abend, als Schwärme von F16-Kampfflugzeugen über mir zu donnern begannen, die auf Syrien zusteuerten. Das dauerte bis in die Nacht hinein und begann am nächsten Morgen erneut, wenn auch mit geringerer Intensität.
Nachdem ich vom italienischen Konsulat kontaktiert wurde, die neuesten Nachrichten von ANSA (Nachrichtenagentur) gelesen hatte, die die Zahl der Opfer nach den Luftangriffen der vergangenen Tage vermeldeten, von zwei abgeschossenen Hubschraubern im Grenzgebiet und von Bomben berichteten, die dort kürzlich explodiert waren, hatte ich das Bedürfnis, ernsthaft über alles nachzudenken. Natürlich auch aufgrund der Tatsache, dass mir jeder, den ich unterwegs traf, davon abriet, hier über Land über die iranische Grenze zu fahren. Daher beschloss ich, die Gefahrenzone zu umgehen, die Nordküste der Türkei am Schwarzen Meer fast auf ihrer gesamten Länge von Amasra bis Sarp zu durchfahren, Georgien zu erreichen, um dann von Aserbaidschan aus in den Iran einzureisen.

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Ich weiß nicht wie viel ich als Kind für eine 300-Kilometer-Achterbahnfahrt bezahlt hätte. An der türkischen Schwarzmeerküste erfüllte sich nun mein Wunsch. Von Amasra nach Sinop war es eine gefährliche Abfolge von Steigungen im zweistelligen Prozentbereich, sowohl bergauf als auch bergab, scharfen Kurven, blinden Kurven, Haarnadelkurven, Serpentinen und rutschigen Engpässen. Adrenalin pur! Alles gewürzt mit Kälte, Regen, Nebel, faulen Kühen, angriffslustigen Hunden und unbeweglichen Schafen. Ich kam mit einem platten Reifen heraus, glücklich wie nach einer bestandenen Prüfung.

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Ich blieb ein paar Tage in Tiflis, um mir ein Bild von der Situation zu machen.

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Die "aserbaidschanische Straße" in den Iran sollte mich durch den schmalen Korridor im Kaukasusgebirge zwischen Russland und Armenien führen. Die Route war sehr lang und holprig, aber vor allem erforderte sie ein Einreisevisum und enorme Aufwendungen für die lokale Bürokratie, die außerhalb meiner Möglichkeiten lagen. Aber auch jenseits der politischen Spannungen zwischen den Nachbarländern schien es, dass vor 2006 zugelassene Autos von Nichtansässigen gerne an der Einfahrt gehindert wurden. Ich drehte deshalb um und fuhr zurück in die Türkei.
Etwa 80 Kilometer östlich von Erzurum befindet sich ein kleines Dorf. Es heißt Horasan und war einer der Übertrittspunkte in die “heiße Zone” an der Grenze zum Iran. In der Nähe der Moil-Tankstelle behielt die Jandarma (türkische Militärpolizei) jeden Durchreisenden genau im Auge. Sie hatten den Finger am Puls der Lage - und zwar in Echtzeit. Und als die Jandarma mir riet, nicht weiterzumachen, konnte ich es glauben. Deshalb beschloss ich, aufzuhören, weil es ein zu großes Risiko gewesen wäre. Die “Iran Experience” endete somit in Horasan.

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Es war mir ein Vergnügen, mein derzeitiges Befinden und einige meiner Reiseerinnerungen mit meinem von mir unzertrennlichen Fiat 500 mit euch zu teilen. Ich hoffe, ich habe euch nicht gelangweilt. Ich bin mir sicher, dass wir alle bald wieder mit unseren kleinen Autos fahren und uns auf Rallyes, Messen und Picknicks auf die “altmodische” Art und Weise treffen werden!

Ich möchte mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Axel Gerstl bedanken, die mich auf vielen meiner Reisen unterstützt und mir heute diesen Platz für meine Geschichte reserviert haben. Als ich Sie kennenlernte, lernte ich auch Ihre aufrichtige Leidenschaft schätzen, die Sie dem kleinen 500er entgegenbringen. Und, das möchte ich betonen, das ist mir sehr wichtig.

© Gianluca Fiorentini; Text und Fotos: Gianluca Fiorentini